Prof. Dr. Andreas Rödder war prominenter Gast in einer Online-Live-Diskussion mit dem heimischen CDU-Landtagsabgeordneten Michael Wäschenbach
Etwa 340 Teilnehmer hatten sich am Montagabend zugeschaltet, als der aus Wissen stammende Historiker Prof. Dr. Andreas Rödder zu Gast in einem Onlineliveforum zum Thema „Eine Agenda für Deutschland in einem fragilen Europa" referierte.
Rödder, der seit September vorigen Jahres als Gastdozent bei der John-Hopkins-Universität in Washington tätig ist, diese Gastprofessur aber wegen Corona derzeit „vom heimischen Schreibtisch aus“ wahrnimmt, schlug einen weiten Bogen von der Historie der Europäischen Union und ihrer Mitgliedsstatten bis hinein in die Gegenwart, wo sich die Gemeinschaft vor großen Herausforderungen befindet. „Wir befinden uns in schwierigen Zeiten“, sagte Rödder und skizzierte verschiedene Tendenzen, wie beispielsweise einerseits die Bestrebungen einiger Länder, die Institutionen der EU mit mehr Macht auszustatten und die den entgegenwirkenden Interessen anderer Mitglieder, verstärkt auf Eigenstaatlichkeit zu setzen. Jüngstes Beispiel hierfür sei Großbritannien, das die EU verlassen habe, „aber auch Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei stellen sich der westlichen Dominanz entgegen“. Es sei ein großes Verdienst von Bundeskanzlerin Angela Merkel gewesen, dass sie unter diesen Umständen während der deutschen Ratspräsidentschaft Einigung über die Finanzierung des europäischen Solidaritätsfonds, der durch die erste Welle der Corona-Krise nötig geworden war, hätte herbeiführen können. Dies war nur ein Beispiel von zahlreichen, warum Rödder die europäische Union trotz aller Schwierigkeiten als Erfolgsmodell sieht. Insbesondere die Sicherung von Frieden lag dem 53-jährigen Professor am Herzen und er führte Konflikte an, die sich beispielsweise aus dem Zerfall Jugoslawiens oder der Situation in der Ukraine nach deren Unabhängigkeitsbestrebungen ergeben hätten. „Hier ist es zu massiven Gewalttaten gekommen, ein Schicksal, dass allen Staaten, die in die EU aufgenommen wurden, erspart geblieben ist.“ Die Chancen zur Überwindung der Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedern sieht Rödder weniger in einer starren Struktur, als vielmehr in Flexibilität und „die Konzentration darauf, wo die EU einen Mehrwert gegenüber dem Einzelstaat erbringt“. Als plastisches Beispiel hierfür führte er den Wunsch der Esten an, eine direkte Bahnverbindung nach Berlin zu schaffen. „So einfach es klingt, so ist Europa, wie es im besten Fall sein sollte: Verbindungen schaffen, überall wo es geht, im Verkehr, in der Digitalisierung und der Wirtschaft.“ Als global Player freilich sieht Rödder die EU nur bedingt, hier gelte es, gegenüber China und den USA zu eigener Größe zurückzufinden, was aber wiederum dadurch behindert werde, dass einige Staaten die Europäische Wirtschaftsunion eher als Drainage gesehen hätten, um den Reichtum des Westens gleichmäßig zu verteilen. Hier wünscht er sich, dass alle Mitglieder ihrer Verantwortung nachkommen und die gemeinsam beschlossenen Vorgaben einhalten. Der in der digitalen Runde anwesende ehemalige Bundestagsabgeordnete Ulrich Schmalz bezeichnete in der anschließenden Diskussion Europa als „Erfolgsmodell Nummer eins in der Welt“ und beleuchtete seine Vorstellungen von Großbritannien, das immer versucht habe, „eine Schiedsrichterrolle einzunehmen.“ Ob die Briten wieder versuchen könnten, in diese Rolle hineinzuwachsen, wollte Rödder weder bejahen noch verneinen. Großbritannien sei immer schon global orientiert gewesen und er ärgere sich gelegentlich über die deutschen Kommentare „vom hohen Ross herab“, dass die Menschen dort dumm oder rückständig seien. „Es war schon immer eine Fähigkeit der Briten, sich neu zu erfinden“, sagte Rödder, der auch lange Zeit in London gelebt hat. Weitere Fragen der Teilnehmer zielten auf das Verhältnis der EU gegenüber Russland, China und den USA ab. Rödder plädierte dafür, bei allen Fragen hinsichtlich des politischen Systems und dem Umgang mit verschiedenen politischen Fragen sich auch immer in die Lage des jeweils anderen zu versetzen. „Wir müssen uns drei Dinge vor Augen führen, nämlich dass wir uns erstens in einem Systemwettbewerb befinden, zweitens müssen wir die pragmatische Kooperation suchen und drittens müssen wir Weltkonflikte realisieren, annehmen und auf Diskussionsebene führen“, so Rödder, der auch für militärische Stärke in Zusammenarbeit mit den USA und im Gebilde der NATO plädiert. Gastgeber Michael Wäschenbach beklagte, dass die Umweltmaßstäbe im europäischen Umland deutlich weniger streng seien als in Deutschland: „Die bäuerliche Landwirtschaft in unserer Region, aber auch in ganz Rheinland-Pfalz steht vor einer schwierigen Konkurrenzsituation, da erwarte ich deutlich mehr Innovation auch von unserer Landesregierung“.
Was das europäische Haus angeht, so sieht auch der Landtagsabgeordnete dieses als zukunftsfähiges Gebilde. An die Adresse des Referenten gerichtet, sagte er: „Ich habe keine Angst vor dem Zerfall, denn Sie haben Strategien aufgezeigt, das macht mir Mut.“
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